Eine Frage der Resonanz: Zusammenarbeit, Führung und Beratung im digitalen Raum
„Verlässliche Kooperation in Zeiten der Digitalisierung“ – so lautete der Titel der diesjährigen Changetagung am 27. und 28. Januar in Basel, die bei reduzierter Präsenz und in Teilen hybrid von der Fachhochschule Nordwestschweiz durchgeführt wurde (https://changetagung.ch/).
Für mich als Beraterin, Coach und Supervisorin von besonderem Interesse waren die Inhalte, die sich mit den Herausforderungen virtueller Kommunikation für Organisationen, Teams und deren Führung befassten.
„Management geht online. Führung nicht“
Reinhard Sprenger („Vertrauen führt“, https://www.sprenger.com/) gab als Key Speaker zunächst den Ton an: Organisationen als „sachlich notwendige, emotional gewollte Solidargemeinschaften zur Erzeugung eines profitablen Kundennutzens“ verlangten echte Kooperation und die gäbe es nur analog. Sprenger sprach von „Nachbarschaften“ als den „wahren Kraftwerken der Organisationen“ und erläuterte sein Verständnis von Organisation als „Heimat“ (und nicht als „Flüchtlingswohnheim“). Dieses Gefühl von Zugehörigkeit sei an die persönliche Präsenz gebunden. Doch die inklusive „Zentralidee des Unternehmens“ werde gerade demontiert – von Mitarbeitenden, die sich nur in die Organisation verirrt hätten und nicht „füreinander“ tätig würden („wem Home Office leicht fällt, hat noch nie zusammengearbeitet“) und Führung auf Distanz praktizierenden, online gehenden Führungskräften. Die übrigens, die früher beim Betreten des Konferenzraums „Eisblumen an die Fenster“ brachten, schrumpften nun auf den Kacheln der Videokonferenz zu „Scheinriesen“.
Da jedoch Arbeit die „gesamtgesellschaftlich die Integrationsmaschine überhaupt“ sei, befürchtet Sprenger einen weiteren Schwund an gesellschaftlichem Zusammenhalt durch Home Office (und, wie er hinzufügte, durch Zeitarbeit und durch den Rückbau von Organisationen unter dem Zeichen von „Agilität“).
Was also tun? Die Schlüsselfrage laute: „Wie können wir es schaffen, dass Arbeit in Unternehmen attraktiver ist, als außerhalb“? Die Antwort Sprengers: „Management geht online, Führung nicht“. Eine solche vorbildliche Führungskraft versucht jene oben erwähnten „Nachbarschaften“ zu befördern – durch ein gewisses Maß an Beständigkeit und Verlässlichkeit, durch die Qualität des gemeinsam beschrittenen Weges (kein „Management by Objectives“!) und einer mächtigen Motivation, dem „Gefühl gebraucht zu werden“.
Bedenkenswerte Thesen, bemerkenswerte Zuspitzungen – Zeit für Diskussion gab es nicht mehr. So blieb es anderen Plenen und Workshops vorbehalten, dem heimlichen Motto der Tagung zu folgen, nämlich „die hybride Gegenwart und Zukunft der Zusammenarbeit zu gestalten“.
„Technostress“
Daniel Thiemann (https://www.zoe-online.org/erfahrung/technologiebedingten-wandel-meistern/) etwa bot einen Workshop zum Thema „Technostress“, der direkt oder indirekt durch den Einsatz von Technologien entsteht, an.
Dabei spielen die Faktoren „overload“, „invasion“ (immer und überall…), „unreliability“, „complexity“ und „insecurity“ (bin ich noch up to date, kann ich noch mithalten?) eine Rolle. „Technostress“ kann psychologische und/oder arbeitsplatzbezogene Folgen haben, wenn etwa die Akzeptanz von Technologien am Arbeitsplatz, Arbeitszufriedenheit, Engagement und Produktivität sinken. Von daher ist es nicht nur eine Frage des persönlichen Wohlbefindens, ob sich Mitarbeitende (wieder) handlungsmächtig erfahren. Dafür ist das Zusammenspiel als nützlich wahrgenommener und zugleich benutzerfreundlicher Technologie, eine „lernförderliche“ und entlastende Umgebung (wechselseitige Unterstützung, kompetente und gut erreichbare Ansprechpartner*innen, organisationale Regeln in Bezug auf Erreichbarkeit) und die Entwicklung individueller Technologiekompetenz hilfreich.
Gruppendynamik online
Technologiekompetenz bedeutet zudem einen Autoritätsgewinn: darauf wies Matthias Csar in seinem Workshop zur Gruppendynamik hin. In virtuellen Gruppen werden Unterschiede anders wirksam bzw. andere Unterschiede relevant:
Der digitale Raum bietet Introvertierten und Individualisten Schutz durch Distanz, weniger Wahrnehmungskanäle und Struktur. Die mit „körperlicher Interaktionsnähe“ verbundene Angst fällt weg. Die „Sequenzialität der Kommunikation mindert das Gerangel um Gesprächshoheit“ und der Druck, auf andere unmittelbar reagieren zu müssen, ist geringer.
Vorteile hat, wer inhaltliche Stärken besitzt und gut zu reden versteht. Im digitalen Raum spielt das „Was“ (der Sachebene) eine größere Rolle als das „Wie“ (der Beziehungsebene), denn das gesprochene Wort gewinnt gegenüber den notwendig reduzierten nonverbalen und paraverbalen Ausdrucksformen. Darüber freuen sich „effizienzorientierte Teams“.
Csar resümiert: „Technikorientierung, Aufgabenorientierung, verbale Kommunikationsfähigkeit fallen stärker ins Gewicht“ – zu Lasten der mit dem Körper verbundenen Unterschiede. „Dem virtuellen gruppendynamischen Raum fehlt der Raum“. Nicht umsonst seien Beziehungsbegriffe vielfach Raumbegriffe, die am Bildschirm ihre Substanz verlieren: „Nähe“ und „Distanz“, „Zuneigung“ und „Abneigung“, „Überordnung“ und „Unterordnung“, „Augenhöhe“, „Randfiguren“… Dadurch gerieten auch Wechselwirkungen im System Gruppe im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Blick.
In seinem Artikel „Gruppendynamische Beobachtungen: Unterschiede in virtuellen Gruppen“ (https://link.springer.com/article/10.1007/s11612-021-00614-5) beruft sich Csar auch auf Hartmut Rosas „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (https://www.suhrkamp.de/buch/hartmut-rosa-resonanz-t-9783518298725).
Mit der Onlinekommunikation entsteht ein „Beziehungsparadox“: die Quantität von Kontakten nimmt zu, die Qualität der Beziehungen – verstanden als Erleben von Resonanz – sinkt.
Wo bleibt die Resonanz?
Genau damit befasste sich Ina Kramer (https://ina-kramer.de/) in ihrem Workshop „Lebendigkeit vor Perfektion. Resonanz in Kooperationsbeziehungen?“
Resonanz bezeichnet nach Hartmut Rosa (https://www.deutschlandfunkkultur.de/hartmut-rosa-resonanz-antwort-auf-die-kapitalistische-100.html, https://www.deutschlandfunk.de/soziologe-hartmut-rosa-der-zauber-des-unverfuegbaren-100.html, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/resonanz-der-schluessel-zur-welt/) einen Modus, wie Subjekt und Welt zueinander in Beziehung treten—durch das „Moment der Berührung“, das „Moment der Selbstwirksamkeit“, das „Moment der Anverwandlung“ und das „Moment der Unverfügbarkeit“.
„Resonanz ist ein Zustand, eine Art und Weise des Verbundenseins mit der Welt, bei der tatsächlich in uns so was zu schwingen beginnt. Man kann das, glaube ich, wirklich in diese Metapher fassen, weil das eine Art des In-der-Welt-Seins beschreibt, bei dem uns Dinge noch berühren oder bewegen oder ergreifen – das sagt ja schon unsere Sprache, also etwas in Schwingung kommt –, wo wir aber auch das Gefühl haben, wir können da draußen sozusagen Klänge erzeugen, also Dinge in Schwingung bringen“.
„Resonanz hat … immer einen Moment der Unverfügbarkeit, man kann es nicht garantiert herstellen“. Schon gar nicht können „wir mit der Welt in Beziehung treten … wenn wir im Alltagsbewältigungsverzweiflungsmodus sozusagen durch die Welt hetzen, dann kommt es zu einer Art eben von einem Stillstehen der Schwingung, weil wir schnell und effizient Dinge instrumentell handhaben müssen – aufgrund einer Steigerungslogik, die systemisch ist, die auch mit kapitalistischem Wirtschaften zusammenhängt, versuchen, Welt verfügbar zu machen, Dinge ganz sicher unter Kontrolle zu haben“ (https://www.deutschlandfunkkultur.de/soziologe-rosa-ueber-sein-buch-resonanz-entschleunigung-ist-100.html).
Resonanz in der Zusammenarbeit, so Kramer, ist zwar auch im digitalen Raum möglich, erscheint jedoch durch die verminderte Intensität an Begegnung und Beziehung erschwert. Umso wichtiger ist es, eine resonanzfördernde Haltung der Offenheit auch dort zu pflegen. Skepsis bleibt freilich angebracht. Thesenartig formulierte Kramer dazu „Verlässliche Kooperation ist ohne Resonanz möglich. Vielleicht wird sie sogar einfacher in der digitalen Wenn-Dann-Logik, aber sie verliert an Lebendigkeit. Neue Lösungen können nur analog entwickelt werden. Die Kommunikationsmittel sind digital, der Mensch bleibt analog.“
Gute Ratschläge für Führungskräfte
Den Kreis von Sprenger über Thiemann, Csar und Kramer schloss der schon 2021 erschienene Sammelband zur Tagung (man könnte fast von einer Tagung zum Sammelband sprechen)*. Dessen zentrale Botschaften lauten „Resonanz erzeugen und eine achtsam-reflektierte Haltung einnehmen“* sowie der Gefahr von „digitalisierte(r) Renaissance autoritärer Führungsprinzipien“ zu begegnen.
Genauer fasst es Corinna von Au in Ihrem Beitrag (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-34497-9_14): Führungspersönlichkeiten behalten auch und gerade im digitalen Raum ihre Vorbildfunktion. Eine „digitale Achtsamkeit und die damit verbundene Selbstreflexion“ gilt in Bezug auf die
- Digital Rules: Vereinbarung formeller und informeller Regeln im Bereich der digitalen Zusammenarbeit
- Digital Fluency: „digitale Gewandtheit“ in Bezug auf technisches Wissen, dessen Anwendung und Wirksamkeit
- Digital Communication: „Die Führungspersönlichkeit sollte eine achtsam-reflektierte Haltung einnehmen, die ein aktives Zuhören und eine achtsame, wertschätzende und verbindliche Kommunikation ermöglicht. Zeitnahe (gegenseitige) Feedbackprozesse sind zu installieren und zu leben. Mit der Erkenntnis, dass die Wahrnehmungs- und Kommunikationskanäle im digitalen Bereich zumindest teilweise eingeschränkt sind, wird die Erfordernis einer noch weiter differenzierten Achtsamkeit und Selbstreflexion der Führungspersönlichkeit im digitalen Raum offenbar. Die Führungspersönlichkeit sollte darauf achten, dass so viel der unterschiedlichen Kommunikationsebenen wie möglich Berücksichtigung finden … Wichtig ist, dass die Führungspersönlichkeit nicht nur den Mitarbeiter, sondern auch den Menschen sieht. Ein regelmäßiger Austausch mit dem Team sollte daher auch durch Einzelgespräche ergänzt werden, bei denen die Führungspersönlichkeit in erster Linie den Mitarbeitenden erst einmal ‚nur‘ wahrnimmt und diesem zuhört. Ergänzt werden sollten digitale Meetings, soweit möglich, sinnvoll und erforderlich, durch analoge Meetings“
Viel davon gilt auch für die Berater*innen-Persönlichkeit, für Coaching und Supervision im digitalen Raum!
*Olaf Geramanis, Stefan Hutmacher, Lukas Walser (Hg.), Kooperation in der digitalen Arbeitswelt. Verlässliche Führung in Zeiten virtueller Kommunikation, 2021