Beziehungen bauen in Coaching und Supervision
Schon wieder Räume (https://www.richtung-ziel.de/raum-fuer-supervision-und-coaching/)? Nun, es gibt einen Anlass:
„Beziehungen bauen. Die Dynamik zwischen Mensch und Raum in der Beratung“ heißt ein von Ahuti Alice Müller (https://www.mensch-raum.org/) und Ullrich Beumer (https://www.inscape-international.de/person/dr-ullrich-beumer) verfasstes (https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/psychologie-psychotherapie-beratung/arbeit-und-organisation/beratung-coaching-supervision/58606/beziehungen-bauen) und 2024 bei Vandenhoeck und Ruprecht in der Reihe „Beraten in der Arbeitswelt“ erschienenes Bändlein.
Wechselwirkungen zwischen Mensch und Raum?
Im ersten Kapitel skizzieren die Autoren grundlegend die „Wechselwirkung der Beziehung“ zwischen Mensch und Raum. Ein Raum sei „nicht an sich vorhanden, sondern wird erst durch eine menschliche Tätigkeit geschaffen“. Er ist „immer ein abgegrenzter Hohlraum, der durch eine kulturschaffende Aktion kreiert wird“. Dieser Raum wird nicht als „nicht statisch, sondern dynamisch“ beschrieben und zwar in Bezug auf das „Raumerleben“, das mit „affektiven Raumerfahrungen in der Biographie“ verbunden ist. Die Autoren zitieren zustimmend den Philosophen Gaston Bachelard („Poetik des Raumes“): Das „erlebte Haus ist keine leblose Schachtel. Das Haus nimmt die physischen und moralischen Energien eines menschlichen Körpers an“. Wer den Raum so vermenschlicht, kann davon sprechen, dass „durch die Psychodynamik des Raumerlebens […] eine ständige Wechselwirkung zwischen aktueller persönlicher Gestimmtheit, biographischer Prägung und dem umgebenden Raum selbst“ entsteht. (https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/psychodynamik).
Systemische Anschlussfähigkeit
Wer eine systemische Brille aufsetzt, wird auch in Bezug auf die von uns wahrgenommenen Räume von Unterschiedsbildung nach subjektiven bzw. sozial vermittelten Sinnkriterien sprechen – und davon, dass unsere biologischen und psychischen Systeme wie auch soziale Systeme von ihnen angestoßen werden können. Und so dürften Systemiker*innen gut anschlussfähig für die klugen Überlegungen sein, die in diesem Kapitel und in diesem Buch überhaupt angestellt werden (auch wenn sie wahrscheinlich häufiger vom „Unwillkürlichen“ nach Gunther Schmidt und weniger oft vom „Unbewussten“ sprechen würden).
Auch als „Resonanz“ im Sinne Hartmut Rosas können wir bestimmte Reaktionen auf Räume begreifen (https://www.richtung-ziel.de/eine-frage-der-resonanz-zusammenarbeit-fuehrung-und-beratung-im-digitalen-raum/).
Räume und psychische Systeme
Auf diese Anstöße reagieren psychische Systeme häufig und in ähnlicher Weise: „Er [der Raum] hat also die Tendenz, seine Eigenart dem Menschen überzustülpen“. So weisen Müller und Beumer auf die quasi „psychische[n] Qualitäten von Proportionen“ (Enge und Weite, oben und unten, vorne und hinten) hin, auf das Bedürfnis nach dem „richtigen Abstand“, also „Grenzen …, die helfen, die Ich-Identität zu stärken und aufrecht zu erhalten“ (Flade), auf die Macht, die in der Verfügung über Räume liegt (Territorialität). Nicht zuletzt unsere Belegung von Räumen mit „einer subjektiven Bedeutung“ aus Gedanken, Gefühlen und körperlichen Empfindungen erhöht deren Wirkkraft.
Wobei hier von Wahrscheinlichkeiten, nicht Notwendigkeiten die Rede ist: „Verschiedene Räume können auf denselben Menschen in der gleichen Gestimmtheit gleich wirken; umgekehrt kann derselbe Raum auf verschiedene Menschen eine völlig unterschiedliche Wirkung entfalten“ (Guderian) oder: „Die Stimmung des Menschen verändert sein Raumerleben genauso wie der äußere Raum seine Stimmung beeinflussen kann“ (Griesen).
Räume und soziale Systeme
In den folgenden Kapiteln werden zunächst unterschiedliche Beratungsräume („fremde“, „geteilte“, „eigene“) vorgestellt. Sodann geht es um die „Inszenierung“ des – vornehmlich eigenen – Beratungsraums und dies meint das darin „ausgestellte“ Mobiliar, Arbeitsmaterialien und andere Gegenstände wie etwa Kunstobjekte. Immer geht es dabei um „Identitätsstiftung“ für den Berater. und immer werden Signale an den Beratenen gesandt. So bringen Gegenstände „ohne instrumentelle Funktion“ wie Gemälde, Fotografien und Skulpturen einen bestimmten Habitus der Beraterin zum Ausdruck, geben Hinweis auf Geschichte und Geschmack, Erinnerungen und Emotionen. Zusätzlich stellen sie als „emotionale Projektionsfläche“ eine Einladung zur „innerlichen Gestimmtheit im Beratungsraum“ dar und dienen dem „Spiel in der Beratung“, wenn sie unterschiedlich „besetzt“ werden.
Zur Inszenierung gehört auch die Positionierung mit oder ohne Tischen, auf Sesseln oder Stühlen und deren Standorte. Dabei wird zwischen wenig kommunikationsfreundlichen „soziofugale[n] Designs“ (wie eng um einen Tisch sitzen) und interaktionsförderlichen „soziopetale[n] Designs“ (Stühle im Kreis, weiter auseinander stehend, die nahe Wand im Rücken) unterschieden. Überhaupt wirkt eine Sitzposition stabilisierend, die die Wand im Rücken hat und den Blick zur Tür.
Das im Folgekapitel erwähnte Prinzip des „prospect and refuge“ verweist auf den sozial- und evolutionsbiologischen Hintergrund solcher Phänomene. Er dürfte auch eine Rolle spielen bei der hier vorgestellten „gruppendynamischen Sitzordnung“.
Was Autorin und Autor hier klarmachen: Form folgt Funktion – und gesellschaftlichen Trends. So ist der Stuhlkreis zwar „aktuell Standard bei Gruppen- und Teamberatungen, Trainings, Workshops und Weiterbildungsveranstaltungen“, aber eben auch, mit Hierarchiefreiheit, Dialog und Offenheit verbunden, „ein zeitgeschichtliches Phänomen“.
Beratungsräume in Coaching und Supervision – der Umgang mit eigenen und fremden Räumen
Ein anschließender Leitfaden zur Gestaltung des Beratungsraums gibt nützliche Hinweise (wie zur Farbgebung und zu Raumproportionen) und erhellt den Hintergrund der Autorin, die eine „Raumanalyse nach Feng-shui-Kriterien“ vorstellt. Das ist zur Erklärung von Wohlgefühl bzw. Unwohlsein in Räumen instruktiv und hilft der Beraterin, den „Kraftplatz“ im Raum zu finden.
Wer als Supervisorin in Organisationen arbeitet, hat dagegen oft keinen oder nur geringen Einfluss auf die Gestaltung der dort zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Sie kann sie jedoch diagnostisch verwenden – die Räume, deren Nutzung, Gestaltung und Erleben werden für Hypothesen zur Organisationskultur genutzt.
Fazit
Das Buch richtet sich in erster Linie an Beraterinnen, voran Supervisoren und Coaches, um deren Sensibilität in der Gestaltung der eigenen Räume und im Umgang mit fremden Räumen zu erhöhen. Zugleich ist es nützlich für alle, deren Geschäft Kommunikation ist: als Führungskräfte, in Einzel- und Teambesprechungen. Räume sind eine wichtige Umwelt unseres Körpers, unserer Psyche und sozialer Systeme. Wie wir sie menschen- und interaktionsfreundlich gestalten können, verrät das lesenswerte Büchlein!